Real existierender Föderalismus – Podcast-Empfehlung: Dialectic mit Jacob Horne – Reinhold Maier (1889-1971) – Heimat der Freiheit: Research Fellows
- by Ricardo
Eilmeldung im Deutschlandfunk diese Woche: Die Länder sollen einmal im Jahr berichten, was sie mit den 100 Milliarden Euro anstellen, die ihnen der Bund mit neuen Schulden finanziert. In dieser einzigen Nachricht stecken so viele Schrecken des deutschen Föderalismus.
ANSICHT
Was uns bewegt
Eilmeldung im Deutschlandfunk diese Woche: Die Länder sollen einmal im Jahr berichten, was sie mit den 100 Milliarden Euro anstellen, die ihnen der Bund mit neuen Schulden finanziert. In dieser einzigen Nachricht stecken so viele Schrecken des deutschen Föderalismus.
Der erste Schrecken: 100 Milliarden Euro schuldenfinanziert – ohne, dass man so richtig weiß, wofür. Und damit das so bleibt, haben Bund und Länder sich ebenfalls geeinigt, die Bindung der Mittel zu lockern: Bildungsinfrastruktur, Betreuungsinfrastruktur, Wissenschaftsinfrastruktur. Sport, Kultur, Wasserwirtschaft und Wohnungsbau sollen ebenfalls aus dem Infrastruktursondervermögen finanziert werden können.
Erschreckend ist auch, dass diese Eilmeldung überhaupt eine Nachricht ist: Wenn das alles schon passiert – wenn der Bund mit Schulden Aufgaben der Länder gewissermaßen grenzenlos finanziert – wäre es nicht selbstverständlich, dass darüber eine Übersicht erstellt wird?
Föderalismus ist doch eigentlich eine großartige Sache: geteilte Macht, Entscheidungen näher an den Bürgern, Wettbewerb zwischen den Bundesländern. In der deutschen Realität bleibt nicht viel davon übrig. Das liegt auch daran, dass die Anreize in all diesen Bereich gegenteilig angelegt sind. Der deutsche Konsens der letzten Jahrzehnte belohnt Ministerpräsidenten, die Verantwortung von sich weisen, Geld beim Bund einsammeln und möglichst wenig vom Standard abweichen. Und die Bürgerinnen und Bürger sortieren ihre Beschwerden nicht nach Zuständigkeit, sondern nach Wichtigkeit: Ist das Problem wichtig, so muss der Bund es lösen. Darin liegt der dritte Schrecken dieser Nachricht: Die Länder lassen sich ihre eigene Infrastruktur vom Bund bezahlen.
Dass Föderalismus in Deutschland scheitert, liegt in vielen Fällen auch an fehlender Transparenz. Durch geteilte Steuereinnahmen von Bund, Ländern und Kommunen, den Länderfinanzausgleich und die viele Unterstützung des Bundes blickt kein Bürger durch, an wen er welchen Euro gibt. Auch das macht die Eilmeldung deutlich: Gelder, die der Bund als Schulden aufnimmt, werden an Länder und Kommunen weitergegeben und fließen dort in Projekte, die auch aus kommunalen oder Landeshaushalten finanziert werden. Im Zweifel auch aus Brüssel.
Der erste Schritt vom real existierenden Föderalismus zum liberalen Ideal muss deshalb Transparenz heißen. Steuern eindeutig zuordnen, jedem Land die Freiheit geben, eigene Steuern zu erheben, und es dafür vom Fluss der Bundesmitteln abzuschneiden, das ist der Weg, die jeweiligen Regierungen und Parlamente wieder für ihre Einnahmen und Ausgaben verantwortlich zu machen. Und vielleicht muss dann auch der Länderfinanzausgleich weichen.
AUSBLICK
Was uns interessiert
In meinem letzten Newsletter habe ich die Idee in den Raum gestellt, dass wir zukünftig vielleicht fast kein Eigentum mehr haben werden. Nicht, weil der Sozialismus ausgebrochen wäre, sondern weil der Digitalkapitalismus die Bedeutung materieller Verfügbarkeit reduziert und Abo-Modelle überhandnehmen. Das liegt auch daran, dass die Regeln für geistiges Eigentum und dessen Verbreitung aus dem analogen Zeitalter stammen.
Im Anschluss habe ich eine E-Mail bekommen, die mir erklärte, dass sich auch für andere Probleme dieser Art noch immer eine Lösung des Marktes gefunden hat. Vielleicht findet sich der Ansatz einer solchen Lösung sogar schon in der Empfehlung dieser Woche. Denn in der Folge des Dialectic Podcasts mit Jacob Horne geht es um Märkte für Ideen und Informationen.
Jackson Dahls Dialectic Podcast bietet regelmäßig ewig lange Gespräche mit Menschen, die neue Gedanken zu Fragen der digitalen Gegenwart entwickeln. Dabei spielt Technik eine große Rolle – Kultur und Philosophie aber auch. In der Folge mit Jacob Horne etwa: Walter Benjamin, Crypto und Memes.
Auch für Menschen, die, wie ich, von Crypto wenig bis keine Ahnung haben, ist die Unterhaltung lohnend. Denn im Gespräch von Jackson Dahl und Jacob Horne werden Ideen hin und her geworfen zu Fragen wie: Wie schaffen wir es, dass viele Menschen zusammenarbeiten und wie organisieren wir ihr Zusammenwirken? Brauchen wir, in Zeiten unendlicher Inhalte, Märkte für Aufmerksamkeit? Und die Antworten gehören nicht zum Standardrepertoire der deutschen Debatten.
WELTBEWEGER
Wer etwas bewirkt
In der Welt des deutschen Föderalismus gab es in der Nachkriegszeit keinen so bekannten Liberalen wie Dr. Reinhold Maier: erster Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Mitglied des Bundestages und Bundesvorsitzender der FDP. 1889 geboren, machte er in der Weimarer Republik Parteikarriere bei der linksliberalen DDP, saß im Reichstag und im württembergischen Landtag, war Wirtschaftsminister des Landes Württemberg. Im unrühmlichen Kapitel des deutschen Liberalismus stimmte auch Maier dem Ermächtigungsgesetz zu. Danach zog er sich aus der Politik zurück und kehrte erst zurück, als die Alliierten ihn Ende 1945 zum Ministerpräsidenten von Württemberg-Baden machten. Reinhold Maier machte, so nannten es erst seine Kritiker, dann er selbst: Remstalpolitik. Liberal in der kritischen Begrenzung des Staates, föderal von der Gemeinde aufwärts, benannt nach dem Flusstal der Rems östlich von Stuttgart, aus dem Maier stammt. Die Gemeinde sollte der erste Ort der Problemlösung sein, erst dann und nur sehr begrenzt sollten Land und gerade der Bund eingreifen. Nicht alles von dem, was Maier vertrat, ist heute zeitgemäß – die bewusste Unabhängigkeit der Länder vom Bund und die Verantwortung, die vor Ort übernommen werden sollte, sind es jedoch schon.
Heimat der Freiheit
Neuigkeiten von uns
Gestern sind vier neue Research Fellows in der Mulackstraße angekommen, um die drei Monate ihres Fellowships zu beginnen. Ihre Ideen zu Themen von Environmental Economics bis Kierkegaard können sie heute Abend im Kolloquium vorstellen, dabei werden sie von Dilara und Max gut betreut. Bis Sonntag folgen dann noch Vorträge, eine Karrierewerkstätte und Ausflüge in Berlin, bevor die vier Fellows zur Arbeit an ihren Ideen zurückkehren. Wir freuen uns auf die Zeit mit Ihnen!