Per Los an die Front? – Interesting Times mit Ross Douthat – William Penn
- by Florian
Die Union will eine flächendeckende Wehrpflicht, der Verteidigungsminister eine flächendeckende Musterung. Und damit keiner als Sieger dasteht, bekommt keiner, was er will. Dafür bekäme die Deutschen ein verfassungsrechtlich fragwürdiges Bürokratiemonster, das mehr Fragen aufwirft, als es löst.
ANSICHT
Per Los an die Front?
Gehe direkt an die Front, du hast das falsche Los. Wir ziehen dich ein. So könnte es bald heißen für junge Männer in Deutschland, wenn sich die Union mit ihren Vorstellungen zur Wiedereinführung einer Wehrpflicht per Losverfahren durchsetzt.
Also, naja, nicht ganz. Denn das vom Koalitionspartner geführte Bundesverteidigungsministerium ist alles andere als begeistert und hat das neue Gesetz erst einmal blockiert. Außerdem soll das Losverfahren nur greifen, falls sich nicht genug Freiwillige für den Dienst finden lassen. Und letztlich gilt Artikel 4 Absatz 3 des Grundgesetzes: Jeder hat das Recht, den Dienst an der Waffe aus Gewissensgründen zu vermeiden.
De facto wird also niemand unmittelbar per Los an die Front geschickt werden. Diese Diskussion läuft vielmehr nach dem – koalitionsgeplagten Deutschen mittlerweile allzu vertrauten – Prinzip: Wenn sich zwei streiten, leidet der Dritte. Die Union will eigentlich eine flächendeckende Wehrpflicht, der Verteidigungsminister eine flächendeckende Musterung. Und damit keiner als Sieger dasteht, bekommt keiner, was er will. Dafür bekommen die Deutschen ein verfassungsrechtlich fragwürdiges Bürokratiemonster, das mehr Fragen aufwirft, als es löst.
Einige Beispiele: Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass junge Männer, die per Los ins „Karrierecenter“ der Bundeswehr einbestellt werden, nicht einfach nach Artikel 4 verweigern? Müssen Verweigerer dann einen Ersatzdienst leisten und Nicht-Geloste nicht? Wäre das gerecht? Und was ist mit denjenigen, die den Fragebogen einfach nie ausfüllen? Sind die automatisch aus dem Lostopf raus, da ja schließlich für die Musterung eines Jahrgangs nicht sonderlich viel Zeit bleibt? Und schließlich: Wie kann es sein, dass wir im 21. Jahrhundert über eine geschlechterspezifische Wehrpflicht nachdenken – gerade wenn doch Not am Mann ist bei unserer Armee?
Die Landesverteidigung ist eine der zentralen Staatsaufgaben; darauf können sich die allermeisten einigen. Mit Putin vor der Haustür und China am Horizont ist es richtig, dass sich die offene Gesellschaft mit der zweitgrößten Wirtschaft der Welt nicht wehrlos macht. Aber das muss gelingen, indem man junge Männer und Frauen davon überzeugt, den Dienst zu tun, und nicht, indem man darüber fabuliert, wie man sie auf die gerechteste Weise zwingen kann.
Wie das gelingt, zeigt die größte offene Gesellschaft der Welt, auf die wir uns seit Jahrzehnten militärisch verlassen. Die USA haben seit 1973 niemanden mehr gegen seinen Willen eingezogen und in dieser Zeit nicht nur den Kalten Krieg für sich entschieden, sondern auch mehrere Kriege und zahlreiche weitere internationale Kampfeinsätze geführt. Das hat mit der öffentlichen Akzeptanz des Militärs zu tun, die in Deutschland auf absehbare Zeit nicht erreicht werden kann; erst recht nicht mit Debatten, wie sie gerade geführt werden. Aber auch mit der Finanzierung: Je nach Stationierungsort kann ein Mannschaftsdienstgrad in den USA inklusive Zulagen rund 80.000 Dollar im Jahr erhalten; ein erheblicher Anteil (v. a. Wohn- und Verpflegungszulage) ist steuerfrei. Das ist etwa doppelt so hoch wie die Brutto-Grundbezüge eines Soldaten mit vergleichbarem Rang in Deutschland.
Anstatt junge Männer (!) auf zweifelhaft-kreative Art und Weise in den Dienst zu drängen, sollte allen tauglichen Menschen in Deutschland ein attraktives und wertschätzendes Angebot gemacht werden. Man könnte sich beispielsweise ein Auktionsmodell vorstellen, etwa eine aufsteigende Clock-Auktion auf die Gesamtvergütung: Dann würden die Grundbezüge rundenweise für alle erhöht werden, bis sich genügend Nachwuchs freiwillig gemeldet hat, und alle Zusagenden am Ende dieselben Bezüge (Clearing-Preis) erhalten. Das hätte den angenehmen Nebeneffekt, dass die Bundeswehr einen großen Anreiz hätte, die Arbeitsbedingungen möglichst attraktiv zu gestalten, damit die angestrebte Zahl an Rekruten in einer möglichst frühen Auktionsrunde erreicht wird. Ein klassischer Fall von Markt regelt.
Es kann gut sein, dass der Auktionspreis über dem heutigen Grundgehalt läge. Wichtiger als ein höheres Gehalt ist jedoch, dass der Staat denen, die im Ernstfall ihr Leben freiwillig für den Schutz ihrer Mitbürger einsetzen, statt Zwang vielmehr Respekt und Wertschätzung entgegenbringt.
AUSBLICK
Podcast-Empfehlung: Ross Douthat über Amy Coney Barrett
Vermeintliches Amerika-Verstehen ist die Lieblingsdisziplin vieler deutscher Auslandskorrespondenten. Was bei den Öffentlich-Rechtlichen oder auf einschlägigen Online-Nachrichtenportalen dabei herauskommt, bildet allerdings weniger die Realität als deutsche Vorurteile ab. In schöner Regelmäßigkeit ist alles rechts der Demokraten „rechtsextrem“, und überhaupt stehen die USA irgendwo zwischen Bürgerkrieg, fettinduziertem Herzinfarkt und wirtschaftlich-kulturellem Bankrott.
Doch Podcasts schaffen Abhilfe: Statt Elmar Theveßen beim Fantasieren zuzusehen, kann man bei nahezu jeder großen US-Zeitung ausgezeichnete Podcast-Formate hören, die das gesamte US-Politik-Spektrum in der Tiefe abdecken. Einen Podcast, den ich besonders empfehlen möchte, ist der des konservativen New-York-Times-Kommentators Ross Douthat, der in „Interesting Times“ mit denjenigen spricht, die die USA aktuell leider wesentlich prägen. So in der jüngsten Folge etwa die konservative Verfassungsrichterin Amy Coney Barrett, die einen tiefen Einblick in den Originalismus, eine US-amerikanische Auslegungslehre des Rechts, bietet.
WELTBEWEGER
William Penn
William Penn, geboren in dieser Woche vor 381 Jahren am 14. Oktober 1644, steht wie kaum ein anderer amerikanischer Siedler für zwei Grundpfeiler der offenen Gesellschaft: freie Märkte und Rechtsstaatlichkeit. In Pennsylvania schuf dessen Namensgeber einen Rahmen, in dem verlässliche Eigentumsrechte, einfache Regeln und niedrige Markteintrittshürden Handel sowie Einwanderung förderten, und machte Philadelphia rasch zu einem der bedeutendsten Handelsplätze. Penns ökonomische Offenheit beruhte auf einem klaren Rechtsfundament: Der „Frame of Government“ (1682) und die „Charter of Privileges“ (1701) begrenzten staatliche Macht, sicherten berechenbare Verfahren und Gleichheit vor dem Gesetz.