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Potemkin-VW – Alltagshelden – Anarchismus – Neuer Leiter des Flossbach von Storch Research Institute

In Wolfsburg brennt die Hütte. VW steckt in einer sich verfestigenden Multikrise. Damit stehen nicht nur im Konzern selber schwere Verwerfungen an, sondern auch in der Zuliefererindustrie, bei all den Unternehmen, die um VW herum gebaut sind, und natürlich auch für das Land Niedersachsen. Es würde nicht überraschen, wenn die SPD noch stärker als schon bisher auf Industriepolitik im Wahlkampf setzen würde. Zumal die Partei ja inzwischen so sehr auf das VW-Bundesland fixiert ist

ANSICHT

Photo: Robbie Sproule from Flickr (CC BY 2.0)

Was uns bewegt

In Wolfsburg brennt die Hütte. VW steckt in einer sich verfestigenden Multikrise. Damit stehen nicht nur im Konzern selber schwere Verwerfungen an, sondern auch in der Zuliefererindustrie, bei all den Unternehmen, die um VW herum gebaut sind, und natürlich auch für das Land Niedersachsen. Es würde nicht überraschen, wenn die SPD noch stärker als schon bisher auf Industriepolitik im Wahlkampf setzen würde. Zumal die Partei ja inzwischen so sehr auf das VW-Bundesland fixiert ist wie die CSU auf Bayern. Nachdem die Wahl 2021 vor allem durch Rentenpopulismus geprägt war, darf man jetzt erwarten, dass sich die Sozialdemokratie dem weltweiten Trend zum Protektionismus „einheimischer“ Industrie anschließen werden, um die Stimmung zu ihren Gunsten zu drehen.
Dabei ist sehr viel an der VW-Krise das Ergebnis von Jahrzehnten staatlichen Interventionismus: Politische Vorgaben, welche Technologie wünschenswert wäre. Unrealistische Energiepreise durch einen Wust an Rabatten, Kompensationen, Rückerstattungen und Ausnahmen. Herumpfuschen in der Tarifautonomie. Abwrackprämien … Kurzum: Volkswagen und die darum liegende Industriestruktur hat über Jahrzehnte hinweg falsche Preissignale erhalten und gesendet. Dass diese Potemkinsche Industrie irgendwann ins Wanken gerät, ist vermutlich unausweichlich. Dass das in einer zähen Rezessionsphase geschieht, ist erwartbar.
Damit VW auch weiterhin ein erfolgreiches Unternehmen bleiben – oder wieder werden – kann, müsste es den gleichen Weg gehen, den auch ein Restaurant in Schorndorf, eine Zimmerei in Gera und eine IT-Beraterin aus Münster vor sich haben, wenn ihr Geschäft nicht mehr so läuft. Gerade aus der Sicht solcher Unternehmer muss es etwas grotesk wirken, dass man darauf hinweisen muss, aber Anpassung an die Realität ist auf die Dauer der einzige Weg zu Profitabilität. Leider zahlt sich für die Politik Realitätsverweigerung und -verzerrung so viel mehr aus. Man muss befürchten, dass VW zu einem noch unwirtschaftlicheren Zombie wird.

AUSBLICK

Was uns interessiert

Wem unsere Newsletter-Kategorie „Weltbeweger“ gefällt, der sollte unbedingt den Newsletter oder den Substack „Zeitsprung“ von Leo Dihlmann abonnieren. Der Autor hat einen regulären Job als Produktmanager beim Medienkonzern The Pioneer, ist aber so fasziniert von der Rolle, die einzelne Menschen in der Geschichte gespielt haben, dass er sich ein Hobby zugelegt hat, das er auf professionellem Niveau betreibt. Woche für Woche rückt er in gut lesbaren, aber durchaus umfassenden Kurzportraits Heldinnen und Helden des Alltags in den Fokus seiner Leserschaft. Wer sich weiter informieren will, findet am Ende des Beitrags auch immer noch ein paar Hinweise, wo man sich noch intensiver mit der Person beschäftigen kann, um die es geht. Dihlmann trägt durch diese beharrliche Arbeit dazu bei, dass man besser versteht, wie wesentlich für den Verlauf der Geschichte und für das Überleben von Menschlichkeit diejenigen sind, die kaum einmal Denkmäler oder auch nur eine Zeile im Geschichtsbuch erhalten.

WELTBEWEGER

Wer etwas bewirkt

Kurt Zube (1905-1991) war ein hundertprozentiger Überzeugungstäter. In seinen Studienjahren in Berlin war er mit dem Anarchismus in Kontakt gekommen. Er freundete sich mit John Henry Mackay (1865-1933) an, der das Erbe der individualanarchistischen Denker in Deutschland am Leben erhielt, insbesondere von Max Stirner (1806-1856). Von den Nationalsozialisten wurde Zube schon 1933 verfolgt und massiv schikaniert: so fielen seine Privatbibliothek und Manuskripte den Flammen zum Opfer. 1935 wurde er, nachdem er sich nach Österreich abgesetzt hatte, von deutschen Behörden ausgebürgert. Er beteiligte sich in der Zeit auch an der Entstehung einer genossenschaftlich organisierten Privatwährung, die heute noch als WIR Bank in der Schweiz aktiv ist. Sechzehn Jahre verbrachte er als Staatenloser – im Herzen war er es freilich schon seitdem er sich für Politisches interessiert hatte. Bis an sein Lebensende war er unermüdlich publizistisch und verlegerisch tätig, um das geistige Erbe des Individualanarchismus lebendig zu erhalten.
Man kann sich vorstellen, wie dieser – durch eine heftige Schwerhörigkeit auch noch behinderte – Sonderling auf seine Umwelt gewirkt haben muss. Man kennt diese nerdigen Außenseiter, die sich missionarisch einer Sache widmen und auch noch mit einer Art Weltformel um die Ecke kommen. Diese Leute, die immer irgendwie am Rand der bürgerlichen Existenz kratzen und aus der Sicht der meisten Menschen eine Art Negativ-Karriere machen: ihr Leben hebt nie so richtig ab. Aber oft sind die bedeutsamen Ideen, die unsere Welt besser gemacht haben, weder von Rolexträgern noch von Würdenträgern erdacht und für spätere Zeiten bewahrt worden. Womöglich wird man in zwei-, dreihundert Jahren auf Leute wie Stirner, Mackay und Zube so zurückblicken wie wir heute auf die Freaks vergangener Jahre, die schon vor Jahrhunderten von Toleranz, Meinungsfreiheit, Gleichberechtigung oder Gewerbefreiheit sprachen.

MITSTREITER

Photo: Flossbach von Storch

Was andere machen

Seit unseren Gründungstagen ist uns Prof. Thomas Mayer sehr verbunden, als offener und kluger Ratgeber und als wohlwollender Begleiter. 2014 gründete er das Flossbach von Storch Research Institute, das sich zu einer wesentlichen Stimme an den Schnittstellen von ökonomischer Wissenschaft, Finanzpraxis, politischen Realitäten und Publizistik entwickelt hat. Dass Mayer, der Anfang des Jahres seinen 70. Geburtstag feierte, sich jetzt aus dem unmittelbaren Tagesgeschäft rauszieht, ist eine eigenartige Vorstellung, wenn auch natürlich eine gut nachvollziehbare Entscheidung. Mit dem Leipziger Ökonomen Prof. Gunther Schnabl ist ein Nachfolger ausgesucht worden, der auf jeden Fall ein hohes Maß an inhaltlicher Kontinuität verspricht, fachliche Kompetenz mitbringt und die Fähigkeit besitzt, auf den Punkt zu kommunizieren. Wir wünschen Thomas Mayer eine erholsam-produktive Entspannungszeit und Gunther Schnabl und seinem Team einen guten Start!