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Sollbruchstellen der freien Welt – Kaiser Hadrian – Ernst Cassirer – Bürokratie – Prometheus Grundsätze

Letzten Dienstag kam ein junger Mann bei uns im Büro vorbei, der für die Werte des Liberalismus brennt und mehr über unsere Arbeit erfahren wollte. Oft ergeben sich im Rahmen solcher intensiven Gespräche ja auch für einen selbst Erkenntnisse. Und einen solchen Moment konnte ich am Dienstagabend erfahren…

ANSICHT

Foto: Murewa Saibu from Unsplash (CC 0)

Was uns bewegt

Letzten Dienstag kam ein junger Mann bei uns im Büro vorbei, der für die Werte des Liberalismus brennt und mehr über unsere Arbeit erfahren wollte. Oft ergeben sich im Rahmen solcher intensiven Gespräche ja auch für einen selbst Erkenntnisse. Und einen solchen Moment konnte ich am Dienstagabend erfahren:
Im Laufe unseres Gesprächs kamen wir auch auf die Bedrohungen der freien und offenen Gesellschaft in unseren Tagen. Dazu machen sich zu Recht viele Menschen Gedanken. Manche sehen sie im „schleichenden Sozialismus“, andere in der „Ökodiktatur“ und viele auch im wachsenden Zuspruch für rechtsradikale Bewegungen und Meinungen. Manchmal ist man aber auch gefangen in den eigenen Narrativen, die einem über Jahre lieb geworden sind. Gerade Menschen, die als Akademiker, Journalisten oder Politiker mithin ihr ganzes Leben danach ausgerichtet haben, welches Narrativ ihnen besonders plausibel erschien, tun sich schwer damit, von diesen Narrativen Abstand zu nehmen, weil das so unglaublich viel von ihrem Einsatz und ihrer Persönlichkeit entwerten würde.

Wenn man eine präzise Risikoabschätzung vornehmen will, kann es durchaus hilfreich sein, sich auf Menschen zu verlassen, die nicht betriebsblind sind, also Außenstehende. Ein noch präziseres Ergebnis könnten diejenigen Beobachter unserer Gesellschaft liefern, die am meisten zu gewinnen haben, wenn die freie Welt kollabiert. Man kennt das aus der Welt des Internets: Oft sind Hacker vertrauter mit Systemen als diejenigen, die sie gebaut haben.
Wenn man also die Sollbruchstelle der freien Gesellschaften erkennen möchte, kann es Sinn ergeben, zu beobachten, auf welche Punkte deren größte systemische Gegner, der russische und der chinesische Staat, am meisten abzielen. Und siehe da: Putin und Xi und deren Schergen setzen ziemlich deutlich auf ein Pferd. Ihr Wetteinsatz gilt nicht dem ungezügelten Wachstum der Wohlfahrtsstaaten und nicht dem Verbrennerverbot. Sie setzen vielmehr darauf, dass der Westen am meisten Selbstzerstörungspotenzial entfalten dürfte, wenn man Rechtsradikale und Rechtspopulisten aller Couleur stärkt: von der AfD über Orban und Trump bis hin zu nur noch nominell links stehenden Politikern wie Wagenknecht und Mélenchon.
Wir, denen die Freiheit so sehr am Herzen liegt, müssen sehr aufmerksam registrieren, von wo aus sie am meisten bedroht wird. Wenn wir Kämpfe von gestern ausfechten, kann es sein, dass wir irgendwann von hinten überrollt werden.

AUSBLICK

Was uns interessiert

Der Sommer bietet ja manchmal Gelegenheit zu längerer Lektüre, ob auf der Terrasse eines österreichischen Berggasthofs, im Strandkorb am französischen Atlantikstrand, in einem Café in London oder auf der Mauer einer gemütlichen Hafenbucht einer griechischen Insel. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Protagonist des Buches, das ich Ihnen und Euch heute ans Herz legen möchte, schon dort war, ist gar nicht so gering, denn Hadrian war Kaiser eines Reiches, das alle wichtigsten Urlaubsregionen deutscher Sommerfrischler umfasste.
Über 20 Jahre hinweg forschte und schrieb die belgische Schriftstellerin Marguerite Yourcenar (1903-1987) an einer fiktiven Autobiographie des römischen Kaisers, der zu dessen Glanzzeit zwei Jahrzehnte lang die Geschicke des Reiches lenkte. Altertumshistoriker preisen die Autorin für ihre historische Präzision. Doch der besondere Reiz des Buches besteht aus meiner Sicht in der überwältigenden Empathiefähigkeit Yourcenars: man hat bei der Lektüre den Eindruck einen ganz und gar authentischen Einblick in die Seele des Kaisers zu bekommen. Faszinierend ist es, mit Hilfe der Autorin die vielen Gedankengänge des Herrschers live und in Farbe mitvollziehen zu können. Psychologisch und politiktheorethisch ist das Buch ein absolutes Meisterwerk. Es sollte eigentlich in den Kanon politökonomischer Fachliteratur gehören … Zugleich ermöglichen einem die Schilderungen der Gegenden, Sitten und Gebräuche des Vielvölkerreichs Fernwehträume.
Das Buch ist auf Französisch geschrieben und liegt in deutscher Übersetzung unter dem Titel „Ich zähmte die Wölfin vor“. Wer Französisch scheut, es aber gerne möglichst nah am Original haben möchte, dem sei die englische Übersetzung empfohlen: Sie wurde von Grace Frick übersetzt, die von 1937 bis zu ihrem Tod die Lebensgefährtin von Yourcenar war. In Zeiten immer dicker werdender Romane ist auch erwähnenswert, dass es Yourcenar gelingt, ihre Meisterschaft auf etwa 250 Seiten zu entfalten. Das Buch gehört zu den zehn besten Romanen, die ich je gelesen habe. Ich würde sagen, die Investition lohnt sich.

WELTBEWEGER

Photo: Wikimedia Commons (CC 0)

Wer etwas bewirkt

Am Sonntag jährt sich zum 150. Mal der Geburtstag des Philosophen Ernst Cassirer. Von 1919 an lehrte er als Professor an der Universität Hamburg, bis er 1933 aufgrund seiner jüdischen Herkunft das Land verließ und nach Großbritannien, Schweden und schließlich in die USA weiterzog, wo er 1945 in New York starb.
Er war der letzte Vertreter der sogenannten Marburger Schule des Neukantianismus, die die Gedankenwelt Immanuel Kants in ihre Zeit übersetzen wollten. Cassirer bewegte sich geländesicher in den Nachbarwissenschaften der Philosophie wie Psychologie und Soziologie und hatte zugleich ein scharfes Auge für andere Ausdrucksformen des Menschen, die er unter den Begriffen Symbol und Mythos zu verstehen versucht. In seinem für ein breiteres Publikum verfassten „Essay on Man“, das 1944 erschien, stellt er sein anthropologisches Grundverständnis vor: „Im ganzen genommen könnte man die Kultur als den Prozeß der fortschreitenden Selbstbefreiung des Menschen beschreiben. Sprache, Kunst, Religion und Wissenschaft bilden unterschiedliche Phasen in diesem Prozeß. In ihnen allen entdeckt und erweist der Mensch eine neue Kraft, die Kraft, sich eine eigene ‚ideale‘ Welt zu errichten.“
Kurz vor seinem Tod vollendete er das Buch „Vom Mythus des Staates“, das in einer Reihe steht mit den großen Werken, die versuchen, die ideologischen Ursachen der globalen Katastrophe des 20. Jahrhunderts zu verstehen wie José Ortega y Gasset mit „Der Aufstand der Massen“ (1929), Friedrich August von Hayek mit „Der Weg zur Knechtschaft“ (1944), Ludwig von Mises mit „Omnipotent Government“ (1944), Karl Popper mit „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“ (1945) und Hannah Arendt mit „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“ (1951). An Kants Vorstellung der Freiheit als einer Aufgabe für den Menschen anknüpfend schreibt Cassirer am Ende des Buchs: „Die Freiheit ist kein natürliches Erbe des Menschen. Um sie zu besitzen, müssen wir sie schaffen. Wenn der Mensch bloß seinen natürlichen Instinkten folgen würde, würde er nicht für die Freiheit kämpfen; er würde eher die Abhängigkeit wählen. … Hier hakt der totalitäre Staat und der politische Mythus ein. Die neuen politischen Parteien … unterdrücken und zerstören den Sinn für Freiheit selbst; aber gleichzeitig befreien sie den Menschen von jeder persönlichen Verantwortung.“

MITSTREITER

Was andere machen

Seit einem guten Jahr sind die Kollegen und Freunde vom „Ludwig Erhard Forum“ als Gastgeber des Formats „Zivilisierte Provokation“ tätig im Bemühen, Debattenräume wieder zu weiten. Dabei treffen Paare aufeinander wie Ralf Fücks und Jens Spahn oder Linda Teuteberg und Rita Süssmuth. Die jüngste Ausgabe Anfang Juli war zum Thema Bürokratie, wozu die Staatssekretärin Franziska Brantner von den Grünen und dm-Chef Christoph Werner aufeinandertrafen. Die Aufzeichnung lässt sich auf YouTube nach-sehen:

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Seit einem guten Jahr sind die Kollegen und Freunde vom „Ludwig Erhard Forum“ als Gastgeber des Formats „Zivilisierte Provokation“ tätig im Bemühen, Debattenräume wieder zu weiten. Dabei treffen Paare aufeinander wie Ralf Fücks und Jens Spahn oder Linda Teuteberg und Rita Süssmuth. Die jüngste Ausgabe Anfang Juli war zum Thema Bürokratie, wozu die Staatssekretärin Franziska Brantner von den Grünen und dm-Chef Christoph Werner aufeinandertrafen. Die Aufzeichnung lässt sich auf YouTube nach-sehen: